Chips imitieren das Gehirn - Forscherin der Uni Bielefeld an der Entwicklung beteiligt

Bielefeld, 23.07.2013.

Neuartige Mikro-Chips imitieren die Informationsverarbeitung des Gehirns in Echtzeit. Die Neuroinformatikerin Juniorprofessorin Dr. Elisabetta Chicca vom Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (Cognitive Interaction Technology - CITEC) der Universität Bielefeld hat mit Kollegen der Universität Zürich, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main gezeigt, wie komplexe kognitive Fähigkeiten in sogenannte neuromorphe Chips eingebaut werden können.

ie haben somit erstmals elektronische Systeme entwickelt, deren Funktionsweise mit jener eines echten Hirns vergleichbar sind. Ihre Ergebnisse sind am 22. Juli in der Online-Ausgabe des renommierten Fachmagazins "PNAS" erschienen.

Kein Computer arbeitet so effizient wie das menschliche Hirn. Ein künstliches Hirn zu bauen, ist denn auch das Ziel vieler Wissenschaftler. Den Neuroinformatikern in Bielefeld, Zürich und Frankfurt am Main ist nun ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen: Sie haben sogenannte neuromorphe Chips entwickelt, die die Informationsverarbeitung des Gehirns in elektronischen Schaltungen imitieren und damit sensorische Signale effizient in Echtzeit verarbeiten können. Mithilfe dieser Chips konnten sie Datenverarbeitungssysteme bauen, die kognitive Fähigkeiten besitzen.

Neuer Ansatz: biologische Neuronen nachbilden

Die meisten Ansätze der Neuroinformatik beschränken sich auf die Entwicklung virtueller Hirnmodelle auf herkömmlichen Computern, oder sollen komplexe Nervennetze auf Supercomputern simulieren. Den Ansatz des Forschungsteams, elektronische Schaltungen zu entwickeln, deren Größe und Energieverbrauch mit jenem echter Gehirne zu vergleichen ist, verfolgen nur wenige. Ihr Ziel: die Informationsverarbeitung von biologischen Neuronen und Synapsen direkt auf Mikrochips nachzubilden.

Die große Herausforderung ist, Netzwerke aus künstlichen, also neuromorphen, Neuronen so zu konfigurieren, dass sie bestimmte Aufgaben ausführen können. Das haben die Forscher erreicht: Sie entwickelten ein neuromorphes System, das mit nur wenigen hundert Neuronen eine komplexe sensomotorische Aufgabe in Echtzeit ausführen konnte. Die Aufgabe erforderte ein Kurzzeitgedächtnis und kontextabhängige Entscheidungsfindung - typische Eigenschaften, die für Kognitionstests benötigt werden. Dabei verknüpfte das Forschungsteam Verbünde neuromorpher Neuronen zu Netzwerken, die sogenannte "Finite-State-Machines" implementierten. "Finite-State-Machines" sind ein mathematisches Konzept, um logische Abläufe oder Computerprogramme zu beschreiben. Ein Verhalten kann als "Finite-State-Machine" formuliert und somit automatisiert auf die neuromorphe Hardware übertragen werden.

Chips lassen sich für beliebige Verhaltensweisen konfigurieren

Die Wissenschaftler zeigen somit erstmals, wie mit neuromorphen Mikro-Chips ein Echtzeit- Datenverarbeitungssystem gebaut werden kann, dessen Verhalten der Benutzer vorgibt. Die Bielefelder Juniorprofessorin Dr. Elisabetta Chicca hat für das Projekt mehrere der mikroelektronischen Schaltkreise entwickelt, die in dem neuromorphen System eingesetzt werden. Darüber hinaus war sie an der Entwicklung der theoretischen Grundlagen und der Durchführung der Untersuchung beteiligt. Derzeit setzt sie die Methoden aus der Studie in der kürzlich eingerichteten Forschungsgruppe "Neuromorphic Behaving Systems" (Neuromorphe Verhaltenssysteme) ein, die zum Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (Cognitive Interaction Technology - CITEC) der Universität Bielefeld gehört.

Für das Projekt arbeitete sie unter anderem mit Giacomo Indiveri, Professor am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und ETH Zürich, zusammen. "Dank unserer Methode lassen sich neuromorphe Chips für beliebige Verhaltensweisen konfigurieren. Unsere Ergebnisse sind grundlegend für die Entwicklung neuer hirn-inspirierter Technologien", resümiert Indiveri. Eine Anwendung wäre beispielsweise, die Chips mit sensorischen neuromorphen Bauteilen wie einer künstlichen Hörschnecke oder Netzhaut zu kombinieren, wodurch komplexe kognitive Systeme entstünden, die in Echtzeit mit ihrer Umgebung interagierten.

Originalveröffentlichung:

Emre Neftci, Jonathan Binas, Ueli Rutishauser, Elisabetta Chicca, Giacomo Indiveri und Rodney J. Douglas, Synthesizing cognition in neuromorphic electronic systems, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), online erschienen am 22. Juli 2013

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