Vernetzte Rettungseinsätze On- und Offshore

In 15% der Einsätze lag bisher ein vitaler Notfall vor. Bild: WINDEAcare |www.windeacare.de

Oldenburg, 18.03.2019 (msc).

Es tut sich was im Bereich Telemedizin. 2016 war Baden-Württemberg noch Vorreiter bei der Lockerung des Fernbehandlungsverbotes, im Mai 2018 wurde dann auf dem 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt „mit überwältigender Mehrheit“ beschlossen, in Einzelfällen eine ausschließliche Fernbehandlung zu erlauben. An der Telemedizin-Zentrale am Klinikum Oldenburg in Niedersachsen sieht man sich als einer der Pioniere auf dem Gebiet.

Die Telemedizin‑Zentrale am Klinikum Oldenburg ist seit März 2015 in Betrieb. Bild: Telematik-Markt.de

Die Zentrale, besetzt mit Anästhesisten aus der Universitätsklinik für Anästhesiologie des Klinikums Oldenburg AöR, ist rund um die Uhr im Rahmen des Projektes WINDEA care vor allem für Patienten im Bereich Offshore da, also Menschen, die auf Windkraftanlagen in der Nordsee arbeiten und die bei plötzlichen Erkrankungen nicht mal eben so zum Arzt gehen können, sondern – falls nötig – dorthin geflogen werden müssten. Ob das nötig ist, lässt sich dank der Telemedizin-Zentrale vorab klären.

Zunächst habe es da auch auf Ärzteseite Vorbehalte gegeben, sagt der Ärztliche Leiter der Zentrale, Dr. Daniel Overheu. „Das war auch ein Lernprozess.“ Eine offizielle Ausbildung für Telemediziner gebe es nicht. „Den Trend hat man in der deutschen Ärzteschaft verdammt lange verschlafen.“ Jetzt, wo das Fernbehandlungsverbot aufgehoben wurde, müsse man die Ärzte in die Lage versetzen, mit der EDV-Technik auch umzugehen und entsprechende Soft Skills zu entwickeln, schließlich müsse sich der Arzt bei der Telemedizin mit seinem Patienten in 2D auseinandersetzen – anfassen geht da nicht. In Oldenburg ist dem Einsatz in der Zentrale eine ausführliche Einweisung vorgeschaltet.

Entscheidende Hilfe im Notfall

Anders als auf der Seite der Behandler hat Overheu bei den Behandelten keine Skepsis beobachtet: „Die Jungs auf der Nord- und Ostsee sind mächtig dankbar.“ Seit 2015 registrierte die Telemedizin-Zentrale bei etwa 85 Prozent der Einsätze eine haus- und allgemeinärztliche Grundversorgung – Erkältungen, Sonnenstich und Ausschlag nennt Overheu als typische Beispiele. Bei 15 Prozent habe es sich tatsächlich um vitale Notfälle gehandelt, also etwa einen Schweißer mit Hochvoltschlag oder einen Herzinfarktpatienten. Auch eine Reanimation musste durchgeführt werden – ein 48 Jahre alter Ingenieur mit infarkttypischen Symptomen, erinnert sich der Leiter der Zentrale und verdeutlicht deren Relevanz: Ohne die Unterstützung durch das Klinikum in Oldenburg hätte sich der Notfallsanitäter vor Ort bei eigenmächtiger Behandlung strafbar gemacht, hätte er aber nichts getan, wäre der Patient gestorben oder hätte einen schweren Herzschaden davongetragen.

Etwa sechs bis acht Einsätze im Offshore-Bereich verzeichnete die Telemedizin-Zentrale im Winter 2017, im Sommer 2018 wurden etwa bis zu 24 Einsätze abgewickelt. Insgesamt wurden seit der Jahreswende 2015/16 ungefähr 500 bis 600 Fälle gemeldet. „Das hat sich sehr gut entwickelt.“

Weiteres Telemedizin-Projekt

Im Juli 2018 ist das nächste Projekt der Oldenburger gestartet, mit dem etwas sperrigen Titel „116117 – neues Versorgungsmodell für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst mit telemedizinischer Unterstützung von Gesundheitsfachkräften“. In der Modellregion, dem Bereitschaftsdienstbezirk Delmenhorst (eine Kleinstadt bei Oldenburg), werden sowohl ländliche Bereiche als auch städtisches Gebiet versorgt. Von Freitag nach Praxisschluss bis Montag früh zur Praxisöffnung können Gesundheitsfachkräfte vor Ort bei Bedarf auf das Wissen der Oldenburger Ärzte zurückgreifen – „Ärztliche Expertise on demand“, nennt Overheu das. Datenübertragung und Videokontakt sind möglich. Es sei das erste Projekt dieser Art in Niedersachsen – mit dem Ansatz, ärztliches Fachwissen bis ins Wohnzimmer des Patienten zu bringen. Den Landarzt könne Telemedizin aber trotzdem nicht ersetzen – „Sie können keine Venenzugänge reindiskutieren“ -, aber jungen Ärzten auch mal Unsicherheiten nehmen, die sich davor fürchten, im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Land allein auf weiter Flur zu sein, das ist auf jeden Fall machbar. Die Telemedizin werde sich „in wenigen Jahren dauerhaft etablieren“, glaubt Overheu. Mit der Technik zeigt er sich bereits „fast wunschlos glücklich“, Probleme sieht der Arzt aber im Fehlen von einheitlichen Industriestandards, guter Breitbandnetzabdeckung und auch in der Vergütung. „Die Entgelte sind so überhaupt nicht tragbar für die erwartete Leistung.“ 

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