Projekt SafeNav: Telematik-Know how aus Bayern macht Gefahrguttransporte sicherer

Nürnberg, 16.11.2011.

Die jährliche Transportleistung von Gefahrgütern in der EU beträgt neun Milliarden Tonnenkilometer. Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen; eine Identifikation der transportierten Ladung erfolgt bisher nur über Gefahrentafeln am Lkw und in Papierform. Die eintreffenden Rettungskräfte erhalten erst direkt vor Ort Informationen bezüglich der Ladung und ihres Gefahrenpotentials. Ziel des Projekts SafeNav ist es, europaweit eine flächendeckende Überwachung und Ortung von Gefahrguttransporten zu ermöglichen und die Einsatzkräfte bei Unfällen durch präzise Informationen zu unterstützen.

Im Rahmen der Demonstration „Monitoring und Unterstützung von Gefahrguttransporten“ wurden am 15.11.2011 die Projektergebnisse dem Fachpublikum vorgestellt. Rund 50 Teilnehmer waren der Einladung zur Veranstaltung im Hause der IHK Nürnberg für Mittelfranken gefolgt, um einen Überblick über Einsatzmöglichkeiten und Potenziale moderner Kommunikations- und Ortungstechnologien beim Gefahrgutmonitoring und bei der Rettungskräfteunterstützung zu erhalten.

 

Modularer Standardbaukasten für Position und Kommunikation

Im Projekt SafeNav wurde ein modularer Standardbaukasten für Dienste in den Bereichen Sicherheit und Verkehr entwickelt. Dieser beinhaltet Komponenten der Ortungs- Kommunikations-, Sensor-, Speicher und Servertechnik. Verschiedene Sensoren messen die aktuellen Umweltdaten (z.B. 3D-Beschleunigung, Richtung mittels 3D-Kompass, Luftdruck-) und verknüpfen diese via GNSS (Globale Satellitennavigationssysteme) zeitnah mit aktuellen Positionsdaten. Die praktische Umsetzung des modularen Standardbaukastens umfasst zwei Anwendungsszenarien: Die Überwachung und das Monitoring von Gefahrguttransporten „Orange“ und die informationslogistische Unterstützung von Rettungskräften und -fahrzeugen bei Notfalleinsätzen „Blue“.

 

Neben GPS wird auch das russische Satellitensystem GLONASS und vor allem das künftige europäische Navigationssystem Galileo genutzt. "Standard-GPS ist von der Genauigkeit für Sicherheit und Rettung nicht ganz ausreichend. Die richtige Position wird in vielen Fällen nicht sicher übermittelt. Bei den GPS-Rohdaten sind Abweichungen von bis zu 50Metern, bei sehr schlechten Empfangslagen bis zu mehreren hundert Metern keine Seltenheit. Beim normalen Navigationsgerät merkt man das nicht, weil dort die aktuelle Position immer auf die Straße gesetzt wird", so Wolfgang Inninger (Leiter Fraunhofer IML Prien / Projektpartner).

Bei der Entwicklung des Systems wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass die technischen Möglichkeiten den Bedürfnissen der Logistikunternehmen, Verlader und Rettungskräfte entsprechen.

Als Spezialist für Güterverkehr und Gefahrgut begrüßte Willibald Bittner (IHK Nürnberg für Mittelfranken) gemeinsam mit Herrn Anton Gerner (Sprecher IGVZ e.V. / Projektpartner) die Teilnehmer aus ganz Bayern. Wolfgang Inninger und Gerd Waizmann präsentierten die Inhalte und Zielsetzungen des SafeNav-Projektes sowie die Systemkomponenten und deren Zusammenhänge.

 

OrangeBox– Monitoring von Gefahrguttransporten

Um jeden Gefahrgut-Lkw orten und identifizieren zu können, wird die OrangeBox direkt in die Gefahrentafel integriert. Beschleunigungs- und Kippsensoren registrieren, wenn der Gefahrgut-Lkw in einen Unfall verwickelt wird und übermitteln den genauen Standort automatisch an die Rettungsleitstelle. Die in der OrangeBox integrierte Sendeeinheit wählt automatisiert die europaweit einheitliche Notrufnummer 112 und setzt kostenfrei eine Nachricht in der jeweiligen Landessprache ab. Die Alarmmeldungen sind in mehreren Sprachen hinterlegt. Binnen weniger Sekunden erhält die Einsatzzentrale einen Datensatz, der darüber informiert, welches Fahrzeug betroffen ist sowie dessen exakten Unfallkoordinaten. Über die Identifizierungsnummer des Lkw und die UN-Nummer kann aus der Datenbank entnommen werden, welche Art von Gefahrgut das Fahrzeug geladen hat. Zu jedem Gefahrstoff existiert ein Unfallmerkblatt, das den Einsatzkräften auf dem Weg zum Unfallort zur Verfügung gestellt werden kann. So können schneller als bisher die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden, um Schäden an Mensch und Umwelt zu vermeiden bzw. zu minimieren. Zusätzliche Einsatzmöglichkeiten sind neben der Überwachung des Transportprozesses auch der Schutz vor Diebstahl oder Anschlägen.  „Automatische Alarmierung bei Gefahrgutunfällen mit bestehender europaweiter 112-Infrastruktur, erweiterungsfähig für eCall. Das ist wie eine Lebensversicherung für die Fahrer von Gefahrguttransporten und die eintreffenden Rettungskräfte. Diese sind dadurch optimal informiert und ausgerüstet, um sofort eingreifen zu können.“, so Gerd Waizmann (Geschäftsführer proTime GmbH / Projektpartner).

 

BlueBox und BlueApp – Rettungskräfteunterstützung

Bei Rettungseinsätzen – besonders bei Großschadenslagen – kommt der Koordination von Rettungskräften, Fahrzeugen und eingesetztem Material sehr hohe Bedeutung zu. Im Rahmen der Rettungskräfteunterstützung werden die Einsatzfahrzeuge mit einer BlueBox ausgestattet. Diese übernimmt das Erfassen und Weiterleiten einsatzrelevanter und fahrzeugspezifischer Daten.

Über den Kommunikations-Hub der BlueBox erfolgt die Zwischenspeicherung sowie, über einen GSM- bzw. WLAN-Gateway, die Weiterleitung der Daten an den SafeNav BlueServicer. Der SafeNav-BlueServicer bereitet die erhaltenen Einsatzdaten anwendergerecht auf: Georeferenzierte Daten (z.B. Positionsdaten der Einsatzfahrzeuge) werden mittels Kartendarstellung visualisiert. Der Datenzugriff erfolgt passwortgeschützt und nutzerspezifisch. Auch die Einbindung mobiler Endgeräte, inklusive der im Projekt entwickelten Smartphone-Applikation SafeNav-BlueApp, zur verbesserten Kommunikation und Koordination der am Einsatz beteiligten Rettungskräfte vor Ort, ist Bestandteil des Anwendungsszenarios  „Rettungskräfteunterstützung“. Die BlueApp bietet neben der Möglichkeit eines Vorort-Abrufes der Daten der OrangeBox, die Fähigkeit Positions- und Statusdaten der Einsatzkräfte zur Einsatzleitung zu übermitteln, die Kommunikation zwischen den Einsatzkräften zu verbessern auch eine Lagedokumentation per Audio, Foto und Video.

Die BlueBox unterstützt das Echtzeit-Einsatzmanagement, indem entscheidungsrelevante Informationen online-basiert zugänglich gemacht und anwendergerecht aufbereitet werden. Der Datenzugang zum SafeNav BlueServicer erlaubt einen hierarchie- und organisationsübergreifenden Datenzugriff und gewährleistet jederzeit den Schutz der sensiblen Einsatzdaten. Durch die langfristige digitale Speicherung aller Einsatzdaten wird der manuelle Dokumentationsaufwand minimiert und zugleich werden präzisere Ergebnisse geliefert.

 

Selbstlernende Gefahrgutkarte

Bei Unfällen sind die Rettungskräfte vor allem auf zuverlässige und schnelle Informationen zum Einsatzort angewiesen. Besonders bei Gefahrguttransporten sind Art und Menge der beförderten Gefahrstoffe eine wichtige Basis zur Einschätzung des Gefährdungspotenzials für Mensch und Umwelt. Derzeit können Rettungskräfte in der Praxis wegen fehlender Informationen oft nur mit Verzögerungen geeignete Rettungs- und Schutzmaßnahmen einleiten. Mit der selbstlernenden Gefahrgutkarte sollen verschiedene Informationen – z.B. UN-Nummern-Klassifizierung, Luftbilder, Fahrzeugrestriktionen, Schutzgebiete – zusammengeführt und in den Rettungsleitstellen hinterlegt werden. Aus den Positionsdaten wird berechnet, welche Gefahrgüter wie oft auf welchen Strecken befördert werden. Diese Daten werden in der selbstlernenden Gefahrgutkarte verortet, hinterlegt und visualisiert. Über die Häufigkeit der befahrenen Ausgangs-, Weg- und Zielpunkte können spezifische Daten über die passende Ausrüstung der auf diesen Streckenabschnitten eingesetzten Einsatzkräfte erhoben werden (z.B. spezifische Löschstoffe). Das Gefährdungspotenzial auf bestimmten Strecken lässt sich somit bereits im Vorfeld konkreter einschätzen.

 

Live Demonstration Gefahrgutmonitoring und Rettungskräfteunterstützung

Im Rahmen eines simulierten Gefahrguttransportes wurden die technischen Möglichkeiten der Systemkomponenten live demonstriert. Als Anwendungspartner und Gefahrgutspezialisten unterstützten die Logistikunternehmen „ABS Bonifer“ und „Lissy Gebhardt Spezialtransporte Umweltschutz“ die Live-Demonstration. Wie in der Disposition üblich wurden die Transportinformationen (z.B. UN-Nummer, Menge, Kfz-Kennzeichen, etc.) in der Anmeldeoberfläche erfasst und auf die OrangeBox übertragen. Die Position des eingesetzten Lkw konnte während der Demonstration jederzeit aufgerufen und auf einer Straßenkarte angezeigt werden. Als eine „NoGo-Area“ für Gefahrguttransporte wurde die Nürnberger Altstadt definiert. Sobald der Lkw dieses Gebiet betrat, erfolgte eine Alarmierung.

Der „Gefahrgutunfall“ wurde neben der manuellen Unfallauslösung direkt am Gefahrgut-Lkw auch mittels eines Modell-Lkws simuliert. Kipp-Sensoren in der OrangeBox dienten zur Auslösung einer automatischen Alarmierung. Die Position und UN-Nummer wurden für alle akustisch übertragen. Die Abfahrt des mit einer BlueBox ausgestatteten Einsatzfahrzeuges und die Fahrt bis zur „Unfallstelle“ konnten ebenfalls auf der elektronischen Straßenkarte in Echtzeit mitverfolgt werden. „Gerade bei einem Gefahrgutunfall, wo eine schnelle, vollständige und exakt zuordenbare Alarmierung sowie die anschließende zeitnahe Weiterleitung dieser für einen erfolgreichen Rettungseinsatz notwendigen Information und Daten an die Einsatzkräfte entscheidend ist, spielt das Zusammenspiel der Orange- und BlueBox Ihre Stärke aus“, so Holger Schulz (Projektleiter des Projekts SafeNav, Fraunhofer IML).

In der abschließenden Diskussion wurden mit den Teilnehmern die Projektergebnisse und die Praxisrelevanz des Systems erörtert. Die regionalen Perspektiven fasste Anton Gerner zusammen: „Die IGVZ plant ab 2012 regelmäßig einen ‚Arbeitskreis Gefahrgut‘ zu organisieren, bei dem sich die verantwortlichen Personen, z.B. über Neuerungen in diesem Bereich, austauschen können. Aus diesem könnte sich eine ‚Sicherheitspartnerschaft Gefahrgut Nürnberg‘ als formloses Zusammenwirken von Logistikdienstleistern, Verladern und Rettungskräften entwickeln.“

 

IGVZ e.V. – Profil und Ziele

Die IGVZ e.V.wurde 1996 gegründet und versteht sich als gemeinnützige Interessenvertretung der Unternehmen im GVZ Hafen Nürnberg sowie im Hafengebiet und dessen Umfeld. Unternehmen, Verbände, kommunale und staatliche Behörden unterstützen wir als beteiligter Partner bei der Förderung und Weiterentwicklung des GVZ Hafen Nürnberg. Wir bündeln und vertreten die Interessen der Unternehmen und Mitarbeiter im GVZ Hafen Nürnberg, unterstützen Informationsaustausch und Kooperationen. Außerdem fördern wir als Initiator und Multiplikator neue Prozesse und Technologien.

Im Cluster Satellitennavigation hat die IGVZ Ansätze aus der logistischen Praxis eingebracht und das Projekt SafeNav von Anfang an als Partner mitgestaltet.

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