Mehr Zeit zur Pflege und ein automatischer Notruf: Aaladin lernt von Senioren und Pflegern

Oldenburg/Stuttgart, 28.05.2013.

Damit ein neues, sprachgestütztes Pflegesystem namens Aaladin (Anwendung von akustischen und lautbasierten Erkennertechnologien zur Unterstützung pflegender Dienstleister) Senioren und Pfleger auch wirklich bestmöglich unterstützt, müssen seine Entwickler ihren Kunden genau zuhören, heißt es am Rande eines zweitägigen Tests in Oldenburg bei den Beteiligten.

Das neue System wird Rufe von Hilfebedürftigen erkennen und automatisch den Notruf auslösen können. Zudem hilft Aaladin dem Pflegepersonal dabei, seine Arbeit schneller und einfacher zu dokumentieren als bisher. Das gemeinsame Ziel: Mehr Zeit für die persönliche Zuwendung und mehr Sicherheit für ältere Menschen zuhause.

Nur ein Hilferuf oder auch ein Klirren?
Dazu hat sich das Aaladin-Team mit Pflegern und Senioren zusammengesetzt. Zu den Fragen gehört etwa die, welche Geräusche den Alarm auslösen sollen. Nur Hilferufe? Oder auch Laute wie Stöhnen oder Klopf- und Klirrgeräusche oder gar Flüche? Vielleicht am besten eine Kombination aus alledem? Eine weitere Frage: Zur Wahrung der Privatsphäre lässt sich Aaladin abschalten. Nach welcher Zeit soll es sich aber automatisch wieder aktivieren? Gibt es dabei einen Ton von sich, um seine Funktion zu signalisieren, oder erfüllt eine blinkende Lampe diesen Zweck besser? Bei diesen und anderen Punkten hilft nur das Gespräch mit den potenziellen Nutzern wirklich weiter.

Mehr Komfort ohne den Knopf
Gespannte Ruhe ist daher die vorherrschende Geräuschkulisse während des ersten Aaladin-Anwender-Tests. Zu den Probanden zählt die 74-jährige Eva-Maria Heinz. „Mir würde es helfen, wenn ich nur mit meiner Stimme Hilfe rufen kann“, sagt sie. Damit würde sie sich in den eigenen vier Wänden sicherer fühlen und könnte länger zuhause wohnen bleiben. Frau Heinz hat bereits jetzt einen Sender mit Notruf-Taste – „aber wenn ich den nicht trage, nützt er auch nichts“. Sie ist derzeit auch nicht so sehr darauf angewiesen, schließlich lebt sie weitgehend eigenständig in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Oldenburg, spielt Klavier und geht regelmäßig schwimmen. „Da sind ja meist Leute in der Nähe, die einem helfen könnten.“ Für Senioren aber, die alleine zuhause sind, wäre eine akustische Hilferuferkennung besonders hilfreich, sagt sie nach dem ersten Test. Heinz würde im Fall der Fälle rufen und klopfen – das System sollte diese Kombination also erkennen. Andere Beteiligte sagten, dass sie zwar einen Notrufknopf hätten, diesen aber zuweilen neben dem Bett liegenließen – daher wäre es gut, wenn auch Rufe den Notruf starten könnten. Und schließlich kam der Hinweis, dass es durchaus angenehm wäre, immer ohne einen Sender auszukommen.

Mehr Zeit für persönliche Beziehungen
Für die am Tag zuvor befragten Pfleger waren mehr Zeit für den Einzelnen und bessere persönliche Beziehungen besonders wichtig. Diese und viele weitere Antworten, Beobachtungen, Kommentare und Fragebögen der Probanden werden nun vom Konsortium ausgewertet, um das Aaladin-System bestmöglich auf die Bedürfnisse der Nutzer abzustimmen.

Die Beteiligten
Partner des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Projektes sind die Robert Bosch Healthcare als Konsortialführer, die Johanniter-Unfall-Hilfe, das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT, das auf sozialwirtschaftliche Software und Beratung spezialisierte Unternehmen MICOS und für die wissenschaftliche Begleitung die Arbeitsgruppe Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement der Universität Bielefeld.

In der Wohnung verteilte Mikrofone
Das neue System wird über in der Wohnung verteilte Mikrofone kritische Ereignisse oder Rufe von Menschen erkennen, die – etwa nach einem Sturz – keinen Notruf mehr über Telefon, Tasten oder andere Auslöser starten können. Über die akustische Ereigniserkennung wird im Ernstfall automatisch der Hausserviceruf von Bosch ausgelöst und die Hausnotruf-Zentrale der Johanniter-Unfall-Hilfe alarmiert. Die Projektpartner untersuchen weiterhin, wie dieses Verfahren die Pflegekräfte unterstützen kann. Diese müssen ihre täglich wiederkehrenden Arbeitsschritte für die Abrechnung mit großem Aufwand dokumentieren. Derzeit geschieht das oft handschriftlich oder mit mobilen Computern. Wenn diese Aufgabe mit einfacher Spracherkennung erledigt wird, bleibt viel mehr Zeit für den Einzelnen.

2050 ist etwa jeder Dritte über 65
Die Bedeutung von Aladin wird vor dem Hintergrund des demographischen Wandels überdeutlich. Nach Angaben der Bundesregierung war im Jahr 1950 jeder zehnte Einwohner in Deutschland mindestens 65 Jahre alt. Heute ist es jeder Fünfte. Und bis 2050 könnte es etwa jeder Dritte sein. Der Anteil der Hochaltrigen – das heißt der über 80-jährigen Personen an der Gesamtbevölkerung – hat sich gegenüber 1950 auf fünf Prozent verfünffacht und wird sich bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich noch einmal verdreifachen. Jeder siebte Deutsche wäre dann 80 Jahre und älter. Mit zunehmender Pflegeintensität und höherem Alter der zu pflegenden Personen sind ambulante Pflegedienste für die Versorgung immer bedeutsamer.

Zusammenspiel von Mensch und Technik
Das Projekt erforscht das Zusammenspiel von Mensch und Technik vor dem Hintergrund dieses tiefgreifenden demographischen Wandels. Das wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Zugleich trifft das Thema den Kern des „Ambient Assisted Living (AAL)“-Ansatzes, der sich mit Lösungen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter befasst. Aaladin ist auf drei Jahre angelegt und wird von der Arbeitsgruppe Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Greiner evaluiert. Die Fördersumme des Bundesforschungsministeriums (BMBF) liegt bei rund 2,3 Millionen Euro. Quelle: Bosch

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