Goodyear-Gesprächsrunde thematisiert digitale Transformation im Transportwesen

Hanau, 21.08.2018.

Kürzlich fand der Experten-Talk „Driving Ahead“ von Goodyear statt. Am runden Tisch wurde die Digitalisierung des Transportwesens diskutiert, und das durchaus kontrovers: Hat der Logistik-Standort Deutschland den Anschluss an den Megatrend verloren? Wie sehen die digitalen Lösungen von morgen aus, und welchen Stellenwert spielen Logistik-Start-ups in diesem Kontext?

Die Frage, ob der Logistik-Primus Deutschland beim wichtigen Zukunftstrend Digitalisierung tatsächlich hinterherhinkt, sehen die Experten am runden Tisch differenziert. Laut André Weisz, Managing Director Goodyear Proactive Solutions und CEO von Ventech Systems, sind die deutschen Transporteure zurzeit in einer extrem schnellen Aufholjagd. „Lange Zeit ging es Transportunternehmen in erster Linie um eine Kapazitätsausweitung. Heute sind Spediteure jedoch dazu gezwungen, die Effizienz in ihren Unternehmen zu steigern – und das machen zum Beispiel integrierte digitale Systeme möglich.“

Die Diskussion am runden Tisch zeigt: Dies gilt nicht nur für Transportunternehmen, sondern trifft zum Beispiel auch auf den ÖPNV-Betrieb Vestische Straßenbahnen GmbH mit Sitz in Herten, Westfalen, zu. Laut dem Prokuristen und Betriebsleiter Thomas Krämer ist der Kostendruck der größte Treiber von Digitalisierung in seinem Unternehmen. Dabei ginge es vor allem um eine rechtssichere Dokumentation und um Prozesssicherheit: „Unsere Werkstatttechniker finden bereits einen vorgedruckten Arbeitsauftrag vor. Wenn sie die Ergebnisse in das System eingeben, erscheinen diese wiederum in der Wagenakte.“ Ein anderer wichtiger Bereich, der digitalisiert wird, ist die Schnittstelle zum Kunden. „Schon heute sind Informationen zur Betriebslage nach außen transparent und für jeden Fahrgast einsehbar.“ Dabei prognostiziert Krämer weitere tiefgreifende Veränderungen, die die fortschreitende Digitalisierung für ÖPNV-Dienstleistungen mit sich bringt: „Die Zukunft liegt nicht länger nur in starren Fahrplänen, sondern auch in Angeboten wie Door-to-Door-Verkehren, die unsere Kunden on demand buchen, oder Strecken- und Kombiverkehren – insbesondere in den Schwachverkehrszeiten“, so die Vision des ÖPNV-Experten.

Transparenzdefizit oder Vertrauensgeschäft?

Besonders weit in Sachen Digitalisierung seien die Lebensmittel- und Automobillogistik, meint Felix Wiegand, CEO der Pamyra GmbH aus Leipzig, einer Vergleichs- und Buchungsplattform für Speditionstransporte. In anderen Bereichen gebe es hingegen großen Nachholbedarf, und der Start-up-Gründer verweist auf eine unzureichende Preistransparenz am Markt: „Es ist einfacher, eine Preisübersicht für eine Airbnb-Wohnung auf den Malediven zu bekommen als für einen simplen Standardtransport durch Deutschland!“ Der 30 Jahre junge Unternehmer hat für Abhilfe gesorgt und das Konzept von booking.com in die Speditionsbranche gebracht. Der Nutzen für den Verbraucher liegt auf der Hand: ein Dutzend Angebote für eine Transportanfrage innerhalb von 30 Sekunden – und das mit der Möglichkeit, direkt zu buchen. „Auf Speditionsseite gab es zunächst Vorbehalte gegen die Preistransparenz“, räumt Wiegand ein. Mittlerweile schätzten seine Geschäftskunden pamyra.de jedoch als einen zusätzlichen, autarken Vertriebskanal: „Die Plattform generiert ohne Mehraufwand on top Aufträge und spart erhebliche Arbeit bei der Angebotserstellung“, fasst der Start-up-Gründer zusammen.

Der Schweizer Spediteur Felix Bühlmann, Inhaber und Geschäftsführer der Sprinter Logistik GmbH mit Sitz in Muri, setzt andere Prioritäten. Transporte sind in dem mittelständischen Betrieb mit einer Flotte von 45 Fahrzeugen auch Vertrauenssache. Eine Plattform, über die er seine temperaturgeführten Transporte zu einem fixen Preis anbietet, bringe sein Geschäft nicht weiter. Dabei nutzt auch Bühlmann digitale Systeme, etwa zur Überwachung der Temperatur oder zum Tracking von Lieferungen. „Viele Anwendungen arbeiten jedoch noch weitestgehend separat“, bemängelt er und verweist auf Systeme für Telematik, Dokumentenmanagement oder die Verarbeitung von Maut- und Tachografendaten. „Hier brauchen wir eine sinnvolle Integration – ähnlich Smartphones, die schon heute eine Verknüpfung verschiedener Apps auf nur einem Gerät ermöglichen.“

Weniger Fragmentierung, mehr Integration

Auch Andreas Normann, geschäftsführender Gesellschafter der Mathias Normann Spedition GmbH und Co KG aus Bendorf, weiß, dass die Logistik im Zeichen der Digitalisierung vor einem Umbruch steht. „Wir haben unzählige digitale Notwendigkeiten im Transportbereich und arbeiten mit unzähligen verschiedenen Systemen, die aber nicht miteinander kompatibel sind. Was fehlt, ist eine Lösung, die all diese Informationen unter einen Hut bringt!“ Der mittelständische Unternehmer sieht hier Großkonzerne klar im Vorteil. Sie haben ihre eigenen geschlossenen IT-Systeme, zu denen kleine und mittelgroße Speditionen keinen Zugang haben. Die Aufgabe für den Mittelstand ist für Normann klar: „Wir müssen hier nachziehen!“ Von der Digitalisierungsindustrie wünscht er sich entsprechend Angebote, die das Problem der inkompletten Vernetzung lösen.

Auch der Telematik-Experte Weisz sieht die Zukunft der digitalisierten Logistik in markenunabhängigen, integrierten Systemen, die die Komplexität über die gesamte Logistikkette hinweg abdecken können. Aber auch auf Anwenderseite macht er Nachholbedarf aus. Oft seien Transportunternehmen auf die Integration eines modernen Systems in ihre bestehenden Prozesse nicht gut vorbereitet und müssten erst entsprechende Strukturen schaffen. Dieser Klimmzug sei notwendig, da die Transportbranche langfristig zu einem Teil des Internets der Dinge werde: „Alle Komponenten sind dann miteinander vernetzt und können kommunizieren – Container, Trailer, einzelne Paletten oder Kisten“, so die Vision von Weisz.

Start-ups: Querdenker mit Lückenlösungen

Um den Weg hin zu einer digitalisierten Logistik zu meistern, sind Start-ups extrem wichtig, sind sich die Experten am runden Tisch einig. „Sie sind oft Querdenker mit Lückenlösungen am Markt, die bestimmte Funktionalitäten sicherstellen“, sagt der ÖPNV-Experte Krämer. Normann zum Beispiel arbeitet in Sachen Logistik 4.0 mit einem Start-up zusammen. „Das Thema ist absolute Chefsache und steht ganz oben auf der Agenda!“, bekräftigt er. Bühlmann wiederum macht beim Angebot vieler Start-ups Nachholbedarf aus, so gingen die Produkte oft an den Bedürfnissen der Speditionen vorbei. Dabei fordert der Schweizer Unternehmer eine Annäherung von beiden Seiten: „Offenheit bei den traditionellen Transportdienstleistern und ein besseres Verständnis der täglichen Praxis unserer Branche auf Seiten der Logistik-Start-ups.“

Laut Wiegand hat sich im Mindset der Speditionen bereits viel getan. „Noch vor zwei Jahren hatten wir große Probleme, Transportunternehmen überhaupt davon zu überzeugen, dass eine Preistransparenz sinnvoll ist – diese Diskussion müssen wir so heute nicht mehr führen.“ Dabei sagt er der Digitalisierungsindustrie einen Innovationsschub voraus: „In den nächsten fünf Jahren wird auf jeden Fall mehr passieren als in den letzten fünf Jahren. Wie die Lösungen dann im Detail aussehen werden – das weiß ich nicht. Tatsache ist aber: Wir können es gemeinsam gestalten.“ Quelle: Goodyear

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