Künstliche Intelligenz elektrisiert Industrieproduktion

Kategorie: 
Messe
Schwerpunktthema: 
Telematik
Frankfurt am Main, 27.11.2023. Automation und Digitalisierung
haben in der modernen Fabrik einen festen Platz. Mit Künstlicher Intelligenz
(KI) zündet die produzierende Industrie jetzt die nächste Stufe. Doch wie sieht
die Fertigung der Zukunft aus? Welche Effizienzgewinne sind möglich? Und
was bedeutet der Einzug von KI in die Produktionsstätten für die Fachkräfte?
Die NORTEC in Hamburg liefert vom 23. bis 26. Januar 2024 Antworten auf
diese Fragen.
 
Künstliche Intelligenz ist bei der Überwachung und Steuerung von Maschinen
nicht mehr wegzudenken. Der Einsatz von neuronalen Netzen ist inzwischen
auch in hochspezialisierten Werkzeugmaschinen selbstverständlich.
„Künstliche Intelligenz wird zur Überwachung von Maschinen häufig in Form
neuronaler Netze eingesetzt. Diese werden mit großen Datenmengen aus
verschiedenen Sensoren trainiert, um Signalverläufe zu prognostizieren“,
erklärt Prof. Berend Denkena, Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und
Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover, das
Funktionsprinzip. Wenn es zu einer Abweichung zwischen dem
prognostizierten und tatsächlich gemessenen Signalverlauf komme, werde
das Fachpersonal informiert und die Maschine angehalten.
 

Maschinenbedienung wird einfacher

KI entwickelt sich rapide. Deshalb sind Fachleute in der Industrie mit
zahlreichen neuen Trends konfrontiert. Zu den Innovationen, die besonderes
Augenmerk verdienen, gehört laut Denkena die Entwicklung von KI-
Assistenzsystemen, die auf großen Sprachmodellen basieren. Letztere
modellieren die Abfolge von Elementen in einer Sequenz. Beispielsweise im
Bereich der Software-Entwicklung setzten sich KI-Assistenten wie etwa der
Github-Copilot bereits durch.
 
Das Cloud-basierte Tool, das von der Microsoft-Tochter Github und dem KI-
Spezialisten OpenAI entwickelt wurde, unterstützt Fachkräfte beim
Programmieren durch automatische Vervollständigung von Codes. „Auch für
die Produktion bieten KI-Assistenten großes Potenzial, zum Beispiel um die
aktuell sehr komplexe Maschinenbedienung zu vereinfachen“, sagt der
Wissenschaftler.
 

Sensorik hilft bei vorausschauender Wartung

Bei vorausschauender Wartung hat sich KI in der Industrie bereits etabliert.
Mithilfe von Sensoren und neuronalen Netzen lässt sich erkennen, ob sich bei
einer Maschine ein Defekt andeutet und eine Wartung geboten ist. Um dieses
forschungsintensive Feld abzudecken, arbeiten Produktionstechnikhersteller
häufig mit Forschenden und Start-ups zusammen, die in der akademischen
Forschung wurzeln.
 
Das Hamburger Start-up ai-omatic solutions GmbH beispielsweise hat sich auf
vorausschauende Wartung spezialisiert. Lena Weirauch, CEO und
Mitgründerin von ai-omatic, erklärt: „KI ermöglicht es, Informationen zu
verstehen, Muster zu erkennen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu
treffen. Eine sehr große Rolle spielen also die Daten, die verwendet werden,
damit eine KI trainiert werden kann.“
 
In der Produktionstechnik funktioniere das besonders gut, da es eine
umfangreiche Datengrundlage gebe. Vorausschauende Wartung sei auch
deshalb ein beliebtes Thema, „weil eben viele Maschinen bereits mit einer
Vielzahl an Sensoren ausgestattet sind, die Daten generieren und dann
ausgewertet werden können“, so Weirauch.
 
Zu den Verfahren mit KI, die es bereits von der Forschung in die industrielle
Praxis geschafft haben, zählt Weirauch auch Bilderkennungstechnologien, die
zur Qualitätsprüfung in der Fertigung oder für die autonome Navigation von
Robotern und Drohnen eingesetzt werden. Auch Industrieroboter und Cobots
(kollaborative Roboter) würden mit fortgeschrittenen KI-Algorithmen
ausgestattet, um Aufgaben in der Fertigung, Logistik und in der
Lagerverwaltung auszuführen.
 

Clever packen und sortieren

Solche Cobots bietet etwa der Roboterhersteller Yaskawa in Kitakyushu in
Japan. Die intelligenten Maschinen können Paletten vollständig automatisiert
packen. Durch den Einsatz von KI brauchen sie keine Schutzzäune mehr und
sind in der Lage, mit verschiedenen Palettenarten zu arbeiten und
unterschiedliche Palettenhöhen zu bestücken.
 
Der Robotik-Spezialist Schunk mit Sitz im hessischen Heuchelheim rüstet
Roboter zudem so aus, dass sie dank KI Objekte erkennen und sie dann
entsprechend sortieren. So können zum Beispiel kleine und mittelständische
Unternehmen Sortieraufgaben automatisieren und ihre Maschinen auch die
Nacht durcharbeiten lassen.
 
Auch der Laserspezialist und NORTEC-Aussteller Trumpf aus dem
schwäbischen Ditzingen treibt den Einsatz von KI in der Produktion kräftig
voran. Trumpf hat bereits 2020 eine KI-basierte Technologie auf den Markt
gebracht, die Beschäftigte beim Sortieren von Bauteilen unterstützt. Dieser
„Sorting Guide“ zeigt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf einem
Bildschirm in ihrem Arbeitsumfeld grafisch an, welches Bauteil zu welchem
Auftrag gehört. Darüber hinaus erhalten die Fachkräfte über den Bildschirm
alle relevanten Informationen zu den Folgeprozessen. Vor allem bei
Blechtafeln mit vielen unterschiedlichen Aufträgen soll dadurch die Effizienz
der Fertigung maßgeblich steigen, verspricht Alexander Kunz, Leiter Smart
Factory bei Trumpf.
 

Effizienter als der Mensch

„Wir füttern die KI so lange mit Daten, bis sie neue Situationen schneller
erkennt und bessere Entscheidungen trifft als ein Mensch oder ein
konservativer Algorithmus“, erklärt Kunz. „Erst dann sprechen wir bei Trumpf
von KI.“ Zwei wesentliche Anwendungsfälle seien dabei Prozessoptimierung
durch Diagnose und präventive Vorhersage.
 
Bei der Trumpf-Technologie „Active Speed Control“ fürs Laserschneiden
mache beispielsweise eine Kamera 40 Bilder pro Sekunde. „Die KI trainieren
wir so, dass sie gute von schlechten Schnittbildern unterscheidet und
entsprechende Maßnahmen ableitet. So können wir die Schneidqualität
kontinuierlich verbessern“, sagt Kunz. Bei der präventiven Vorhersage
erkenne die KI zum Beispiel selbstständig, wenn sich eine Kontur schwierig
fertigen lasse oder wenn ein Teil zu klemmen drohe. „Auch hier können wir sie
so trainieren, dass sie selbstständig die richtigen Maßnahmen ergreift. So
verhindert sie Fehler, bevor sie entstehen.“
 
Damit sich Künstliche Intelligenz überhaupt entwickeln kann, muss sie auf
natürliche Intelligenz und das Erfahrungswissen des Menschen zurückgreifen.
Konkret heißt das: Fachkräfte müssen die KI vor ihrem Einsatz trainieren.
Danach kann aus der intelligenten sogar eine selbst lernende Maschine
werden.
 

Konservierung von Wissen hilft bei Fachkräftemangel

Das macht KI in Zeiten von Fachkräftemangel besonders interessant. „Im
Hinblick auf den demografischen Wandel ist aus meiner Sicht das Erlernen
von Domänenwissen durch eine Künstliche Intelligenz eines der
spannendsten Forschungsthemen in der Produktionstechnik“, erklärt Prof.
Christian Brecher, der den Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen am
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen leitet. Die „Konservierung
von Expertenwissen“, wie Brecher den Wissenstransfer von Mensch zu
Maschine nennt, würde dem gravierenden Fachkräftemangel in Zukunft
entgegenwirken.
 
Kleine und mittelständische Unternehmen verfügen oft nicht über die
notwendigen finanziellen und personellen Kapazitäten, um KI in ihre
Produktion zu integrieren. „Eine Lösung wäre die Kollaboration und das
Schließen von Partnerschaften“, sagt Brecher, der auch Vorstandsmitglied der
WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) ist, ein
Zusammenschluss führender Professorinnen und Professoren der
Produktionswissenschaften. „Wir verfolgen diese Strategie in Aachen in
unseren zahlreichen Centern und Arbeitskreisen zu verschiedenen
Themenfeldern.“
 
Weiterhin böten Transferprojekte die Möglichkeit, das Wissen aus der
Forschung in die Industrie zu übertragen. Ein Beispiel hierfür ist das
Demonstrations- und Transfernetzwerk KI in der Produktion (ProKI), das
weitgehend von der WGP getragen wird. Insgesamt acht Zentren verteilt in
ganz Deutschland bieten Qualifizierungs- und Transfermaßnahmen für
produzierende Unternehmen an.
 

Auf die Daten kommt es an

Der Einsatz von KI in der industriellen Produktion bietet viele Vorteile, ist aber
auch mit Herausforderungen verbunden. Zunächst einmal benötigen KI-
Modelle hochwertige und ausreichende Daten. Deshalb empfiehlt Lena
Weirauch von ai-omatic ganz pragmatisch, Unternehmen sollten „erst einmal
use cases angehen, für die eventuell schon einiges an Daten vorliegt“. Auch
die Integration von KI in bestehende Produktionsprozesse und Maschinen
könne komplex sein und erfordere oft Anpassungen und Investitionen.
Deshalb lohne es sich, zunächst auf Standardtools oder bereits bestehende
KI-Anwendungen zurückzugreifen, anstatt alles selbst zu entwickeln.
 

Mitarbeitende müssen geschult werden

Auch der Mensch ist nicht immer leicht vom KI-Einsatz zu überzeugen, wie die
Start-up-Gründerin bemerkt hat. „Häufig erlebe ich erstmal eine Art Anti-
Einstellung gegenüber KI aufgrund von Unwissenheit und fehlendem Know-
how“, so Weirauch. Mitarbeitende müssten auf KI-Systeme vorbereitet und
geschult werden, um sicherzustellen, dass sie die Technologie effektiv nutzen.
Gleichwohl räumt die Start-up-Gründerin ein, dass KI in der Produktion
ethische Fragen aufwerfe, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von
autonomen Robotern und die Auswirkungen auf Arbeitsplätze.
 
Wird die Fachkraft in der Fabrik tatsächlich nicht mehr gebraucht, nachdem
das Wissen an die KI übertragen wurde? Denkena gibt eine differenzierte
Antwort: „Vor jeder technisch bedeutsamen Revolution wurde die Frage
gestellt, ob die Technik den Menschen überflüssig machen wird“, sagt er. „Vor
der Einführung computergesteuerter Maschinen war die neue Rolle des
Menschen in Fabriken ebenfalls schwer vorstellbar. Heute verstehen wir
Computer selbstverständlich als Werkzeug und nicht als Konkurrenz. Ich
denke, genauso werden wir zukünftig auch Künstliche Intelligenz als
Werkzeug verstehen.“
 

Aufgaben für Fachkräfte werden komplexer

Um in der Smart Factory zu arbeiten, seien neue Fähigkeiten gefragt. „Die
Mitarbeitenden müssen vielseitig sein und brauchen Kompetenzen im
Umgang mit Software“, erklärt der Wissenschaftler aus Hannover. Die Anzahl
an Maschinen und deren Automatisierungsgrad werde mit Künstlicher
Intelligenz weiter steigen. Während die Programmierung der einzelnen
Maschinen deutlich einfacher werde, müssten die Mitarbeitenden dennoch mit
einer Vielzahl verschiedener Maschinen umgehen können.
 
Auch im Management produzierender Unternehmen sind für den Durchbruch
von KI noch einige Widerstände zu überwinden. „Die Bereitschaft zum Teilen
von Daten ist bei Unternehmen aktuell noch eine große Hürde“, sagt
Denkena. Industrielle Produktionsdatensätze seien auf großen KI-Plattformen
wie Hugging Face kaum verfügbar. In vielen anderen Bereichen habe Open-
Source dagegen maßgeblich zum Erfolg von KI-Modellen beigetragen.
„Außerdem ist die Kommunikation im Internet der Dinge noch zu wenig
standardisiert“, moniert der Wissenschaftler. Allein die Datenakquise erfordere
daher individuelle Lösungen. „Die damit verbundenen notwendigen
finanziellen Investitionen erschweren insbesondere kleinen und
mittelständischen Unternehmen den Einstieg in KI-Technologien.“
 
Klar ist unterdessen, dass kein Weg an KI vorbeiführt, wenn die industrielle
Produktion international wettbewerbsfähig bleiben soll. „In Anbetracht der
Herausforderungen, die auf die deutsche und europäische Industrie
zukommen, wird KI eine wichtige Rolle für die Effizienzsteigerung unserer
Produktion und Geschäftsprozesse und somit auch für die
Wettbewerbsfähigkeit spielen“, sagt Brecher. Zudem werde KI ein
entscheidender Faktor für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen im
Hinblick auf Produkte und Produktionsprozesse sein.
 

USA proaktiver als Deutschland

Hat Deutschland im internationalen Vergleich, insbesondere mit Blick auf
China, Japan und die USA einen Entwicklungsvorsprung in der digital
vernetzten Fertigung? Trumpf-Manager Kunz hat eine vielschichtige Antwort
auf diese zentrale Frage. „Die deutschen Blechfertiger sind bei den Themen
Digitalisierung und Automatisierung schon sehr gut aufgestellt, insbesondere
im Vergleich zu Asien“, sagt er.
 
Die nächste Entwicklungsstufe sieht Kunz im Bereich der digitalen Services.
„Beispielsweise haben wir derzeit rund 5.000 Maschinen im Feld, die an das
IT-System von Trumpf angebunden sind. Kommt es zu Auffälligkeiten in den
Maschinendaten, bemerken wir das sofort und kontaktieren den Kunden.“
Zudem biete Trumpf den Kunden an, ihre Maschinen aus der Ferne zu
programmieren oder in der Nachtschicht zu entstören. Auf der NORTEC wird
Trumpf mit Maschinen vor Ort sein, die sich für den Einstieg in die Trumpf
Welt eignen. Das sind Maschinen für Laserschneiden und -schweißen.
Thematisch wird bei den ausgestellten Maschinen die digital vernetzte
Fertigung im Vordergrund stehen. „Solche Modelle sind technisch schon sehr
weit, aber die deutsche Industrie ist eher vorsichtig, sie anzuwenden. Andere
Länder wie die USA sind hier proaktiver“, resümiert Kunz. Quelle: VDW
Event: 

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