Die Schaltzentrale im Auge des Betrachters

Tübingen, 17.11.2015.

Die Europäische Union hat einem internationalen neurowissenschaftlichen Forschungsnetzwerk grünes Licht gegeben. Das Netzwerk will die visuelle Informationsverarbeitung im Auge besser verstehen und dient der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern. Es umfasst 15 Institute und Technologiefirmen aus neun Ländern (Belgien, Deutschland, Israel, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweiz, UK) und wird in Tübingen koordiniert. Das Projekt steht unter dem Titel „switchBoard – In the Eye of the Observer: Visual Processing at the Heart of the Retina“ und wird über vier Jahre mit 3,8 Millionen Euro gefördert. Am 2. November nahm es mit einem großen Workshop seinen offiziellen Beginn.

Nicht nur Schönheit liegt im Auge des Betrachters – alles, was wir sehen, wird bereits im Auge einer ersten Analyse unterzogen. Bevor die Netzhaut (Retina) visuelle Informationen ans Gehirn schickt, berechnen mehr als 80 Nervenzelltypen Bildeigenschaften wie Kontrast, Helligkeit und Farbe. Aber auch komplexere Informationen wie Kanten und Bewegungen werden in der Retina zuerst ausgewertet, deren Nervenzellen zu diesem Zweck verschiedene Schaltkreise formen. Die Retina fungiert also wie eine hochkomplexe biologische Schaltzentrale – Englisch eben switchboard. Das Ziel des gleichnamigen Projekts, das nun seine Arbeit aufnimmt, ist Aufbau und Arbeitsweise der Schaltkreise in der Retina zu verstehen. Um es zu erreichen, werden mit den EU-Fördermitteln 15 junge Forschende auf dem Weg zum Doktortitel eingestellt und jeweils über drei Jahre finanziert.

Dabei setzte sich „switchBoard“ gegen starke Konkurrenz durch: Von über 1.300 Bewerbern im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) konnten im Jahr 2015 nur 106 eine Förderung der Europäischen Kommission erringen. Die MSCA-Maßnahmen sind Teil des Horizont 2020-Forschungs- und Innovationsrahmenprogramms der EU. Ihr Ziel ist die Schaffung eines starken Pools von europäischen Forschenden sowie die Steigerung der Attraktivität Europas für Forschende. Gefördert werden Netzwerke zur strukturierten Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern, in diesem Fall die sogenannten „Innovative Training Networks“ (ITN). ITNs umfassen neben einer individuell angepassten Ausbildung in der Forschung eine Reihe übergreifender Maßnahmen (wie Sommerschulen, Trainingsseminare mit wissenschaftlichen Themen, Soft Skills-Kurse und Workshops), die für alle 15 „switchBoard“-Doktoranden und Doktorandinnen verbindlich sind. ITNs sind darüber hinaus Mobilitätsmaßnahmen der EU: Alle jungen Forschenden müssen für die Ausbildung in ein anderes Land als das wechseln, in dem sie die letzten drei Jahre ansässig waren.

Der Koordinator des Forschungsprojektes, Prof. Dr. Thomas Euler, Leiter der Forschungsgruppe Sehforschung am Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen und am Forschungsinstitut für Augenheilkunde, zeigt sich mit dem Treffen zum Projektstart zufrieden: „Diese Art der interdisziplinären Forschung im internationalen Verbund ist der richtige Ansatz, um jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die ganze Breite der Arbeitsmöglichkeiten in den Neurowissenschaften nahezubringen und sie in die Lage zu versetzen, wichtige Karriereentscheidungen zu treffen. Außerdem erlaubt ein solches Netzwerk, gemeinsam komplexe Fragestellungen anzugehen – z.B. wie die Netzhaut es schafft, den ungeheuren Datenstrom, der das Auge erreicht, zu ‚bändigen’ um die wichtigen Informationen für das Gehirn herauszufiltern und aufzubereiten.“ 

 

Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen

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